Auf die Hörner genommen (1)

On a dark desert highway, cool wind in my hair
Warm smell of colitas, rising up through the air
Up ahead in the distance, I saw a shimmering light

Laute Gitarren brennen sich in mein Gehör und ich schließe für einen Moment die Augen, um die Klänge zu genießen.

Welcome to the Hotel California …

Bei diesem Lied musste ich schon immer an die eine Stelle aus Percy Jackson denken, dieses Casino/Hotel/was auch immer, wisst ihr was ich meinte? Sie sind dort gefangen, sich dessen aber gar nicht bewusst, da sie pausenlos Spaß haben und ihre Aufgabe, ihren Zeitdruck fast vergessen.
Ich würde gerade zu so einem Hotel auch nicht nein sagen, einfach alles vergessen und sich treiben lassen, bis in alle Ewigkeit. Stattdessen irre ich durch die Universität auf der Suche nach dem Hörsaal,

in dem seit fünf Minuten meine erste Vorlesung stattfindet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er hier irgendwo sein müsste, doch der einzig verbleibende Weg ist eine Treppe nach oben, die mich mit Sicherheit nicht in die richtige Richtung führen wird. Aber es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Während ich die Stufen hinauf steige, meldet sich mein Handy.
10:21 – Alter, wo bleibst du?!
Ich tippe schnell eine Antwort, stecke mein Handy wieder in die Hosentasche und schaue dann auf. Der Flur, in dem ich gelandet bin, sieht irgendwie anders aus als ich ihn erwartet hatte. Die Sonne scheint nur gedämpft herein, denn vor den Fenstern hängen Plastikfolien. Es sieht hier generell so aus, als würde dieser Teil der Universität gerade renoviert. Feiner Staub bedeckt den steinernen Boden, an manchen Stellen durchziehen Spuren die Schmutzschicht. Allerdings sehe ich nirgendwo Handwerker, während ich zögernd den Flur entlang gehe.
Den Raumnummern nach zu schließen müsste mein Hörsaal genau unter mir sein. Vielleicht finde ich ja weiter hinten eine Treppe, die wieder nach unten führt. Der Gang macht eine sanfte Biegung und plötzlich bin ich nicht mehr allein. An den Wänden entlang stehen weiße Skulpturen aufgereiht, jede in einer anderen, eingefrorenen Position. Bei der ersten bleibe ich stehen, um sie zu betrachten. Irgendwie erinnert sie mich an die griechischen Skulpturen aus der Antike, nur haben die hier noch alle Gliedmaßen und sehen auch sonst ziemlich unversehrt und neu aus. Über den meisten hängen ebenfalls Plastikfolien, aber die Frau, vor der ich stehe, ist nicht verhüllt. Sie sieht ein wenig so aus, als wolle sie ihren Körper festhalten, denn sie hat die Arme vor der Brust gekreuzt. Das Tuch, das wohl ursprünglich um ihre Schultern lag, ist heruntergerutscht und entblößt ihren ganzen Oberkörper. Vielleicht ist ihr kalt und sie will sich wärmen? Oder sie ist traurig, denn ihr Blick ist auf den Boden gerichtet. Ihr Kopf liegt dabei anmutig schief.
„Verschwinde“, sagt sie in einer lieblichen Stimme.
Ich erstarre, während in die Skulptur vor mir Bewegung kommt. Sie dreht ihren Kopf, hebt ihren Blick und sieht mich direkt an. Es ist, als hätten wir die Rollen getauscht und ich wäre nun aus Marmor.
„Ich sagte, du sollst verschwinden“, wiederholt sie ihren Befehl und fügt noch mit Nachdruck hinzu: „Sofort.“
„Ich … warum … ich kann nicht“, stammle ich, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
„Gib mir mal deine Jacke“, meint sie dann und zögernd komme ich ihre Aufforderung nach. Sie streift sie schnell über, wobei ihr mein fragender Blick wohl nicht entgeht.
„Was ist? Denkst du ich hab Lust drauf, dass ihr Männer mich ständig anstarrt?“
Beschämt sehe ich zu Boden. Währenddessen bindet sie sich ihr Tuch zu einer Art Wickelrock, dann spricht sie mich wieder an.
„Du solltest jetzt echt abhauen. Es kann nämlich sein, …“ Ein lautes Brüllen ertönt, das die Wände erzittern und Staub von der Decke rieseln lässt. „… dass der Minotaurus gleich hier ist.“

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